Try To Escape (Versuch zur Robinsonade)
Collage und Aquarellfarbe auf Papier, 55 x 40 cm, 2013

»Nichts ist weniger passiv als eine Flucht, ein Exodus.«¹

In der Serie Try To Escape wird das Motiv der Robinsonade als Gegenerzählung formiert. Bildmaterial inszenierter Vorstellungen von Flucht aus der Zivilisation, einem Leben ohne Fremdzwang, und Motiven der Verheißung von Selbstbestimmtheit werden zerlegt, zerschnitten und in Form von Collagen verklebt und neu in Beziehung gesetzt. Unterschiedliche Beobachterperspektiven, der Körper in Bezug zum Ort, das Sehen und das Gesehen werden, die Geste und der verstellte, teilweise gebrochene Blick stehen dabei im Mittelpunkt. Der Rolle des Fremd- und Selbstbeobachters, in der auch der Bildbetrachter eingeschlossen ist werden Personen und Fragmente von Teilnehmer- bzw. Akteursperspektiven hinzugefügt.

Seit Daniel Defoe's Robinson, auf dessen Roman der Begriff Robinsonade verweist, entwickelten sich unterschiedliche Szenarien zur Erzählung, die Erlebnisse einer oder mehrerer meist jugendlicher Personen in insulanischer Abgeschiedenheit vorführt. Grundmotiv ist dabei jeweils die isolierte Lage von der menschlichen Gesellschaft und ihrer zivilisatorischen Mittel, die nicht das Ergebnis einer sentimentalen Weltflucht ist, sondern zu einem einsetzenden Lernprozess zur Daseinsbewältigung führen soll.
Die darin inspirierten Verhaltensmaximen dienten der klassischen Aufklärungspädagogik als Modell der Selbstbestimmtheit, deren Selbsttätigkeit das Resultat eines selbstdisziplinierenden Erziehungsmodells war.

In seiner Theorie über den »Prozess der Zivilisation« beschreibt Norbert Elias den zivilisatorischen Prozess als Übergang einer höfischen Gesellschaft voller gesellschaftlicher Fremdzwänge hin zur modernen Industriegesellschaft deren Selbstzwangapparatur auf die ständige Kontrolle durch äußeren, fremden Druck verzichtet, indem sie sich als Disziplinargesellschaft im inneren Bewusstsein der Menschen entfaltet. In Bezug auf die Robinsonade, dessen Erzählung in der spätkapitalistischen Gesellschaft vor allem in der Werbe- , Finanz- und Freizeitindustrie dazu verwendet wird, die Vorstellung eines selbstbestimmen Freiheitsbegriffes zu vermitteln, der frei von äußeren Einflüssen die Entfaltung eines wahren Selbst ermöglicht, bedeutet dies eine Umkehrung des Motivs. Die insulanische Abgeschiedenheit dient nun dazu, einen herrschaftsfreien paradiesähnlichen Ort zu suggerieren, der sich dem normalen gesellschaftlichen Ordnungssystem entzieht und in dem Selbsttätigkeit nicht mehr notwendig scheint. So weisen unter Anderem Begriffe wie Offshore, Steuerparadies oder Finanzoase, die oft mit dem Bild einer kleinen, einsamen Insel assoziiert werden, in diese Richtung. Die Präsenz an diesen Orten reicht aus, um ein Überleben zu sichern.

In anderen, vor allem im Bereich des Kinos anzusiedelnden, eskalierenden Versionen des Robinson Motivs, wie sie zum Beispiel in Filmen wie »Lord of the Flys«, »Badlands« oder später in »Battle Royale« vorhanden sind, werden zunehmend dystopische Szenarien entworfen, die mit dem ursprünglichen, zivilisatorischen Modell brechen, und die Isolation bzw. Zwang und Kontrolle als Auslöser von Gewalt und Zerstörung vor dem Hintergrund einer präkeren Körperlichkeit beschreiben.
Der menschliche Körper und dessen Zerstörung, wird darin zur Projektionsfläche, an dem sich gesellschaftliche Verfasstheiten und deren soziales Bedingungsgefüge abzeichnen.

Try To Escape ist der Versuch einer Flucht, die kein Ziel verfolgt. Sie ist keine Entscheidung zwischen vorgegebenen Alternativen. Sie ist der Wunsch einer Bewegung gegen die Ausweglosigkeit, ein durchkreuzen einer Ansammlung verschiedener Perspektiven, die sich im Motiv der Robinsonade wiederfinden.

¹ Paulo Virno, Grammatik der Multitude, S.97

Try To Escape (Versuch zur Robinsonade)
Collage und Aquarellfarbe auf Papier, 55 x 40 cm, 2013